Interview mit WeLikeWeb Geschäftsführer Andreas Muscheid

Herr Muscheid, viele ausländische Online-Anbieter, vor allem aus Großbritannien und Skandinavien, würden ihre Produkte auch liebend gern den deutschen Kunden verkaufen. Welche Chancen haben sie – und wie können Sie ihnen helfen?

Die besten Chancen haben sicherlich E-Commerce-Anbieter, die erstens bereits in ihrem Heimatland erfolgreich tätig sind. Zweitens sollten sie auch schon auf ihrem originären Markt eine bestimmte Größe erreicht haben. Und drittens müssten sie ein ordentliches Umsatzvolumen in Deutschland anstreben.

Wie ehrgeizig sollte das Umsatzziel in Deutschland sein?

Der Online-Shop sollte hierzulande mindestens 500.000 Euro Umsatz erzielen wollen. Besser noch, eine Million. Denn ab diesem Volumen lohnt es sich für den Anbieter, in Deutschland eine Tochterfirma zu gründen, z.B. eine GmbH. Und ab dann macht es auch Sinn, in eine anspruchsvolle Software für Shop-Betreiber zu investieren, insbesondere in „Shopify Plus“.

Warum ist es für einen Anbieter aus Großbritannien oder Skandinavien so wichtig, eine eigene Tochterfirma in Deutschland zu unterhalten?

Ganz einfach. Der Online-Shop gewinnt auf diese Weise sofort das Vertrauen der deutschen Kunden – denn die bevorzugen eine Homepage, die auf „de“ endet. Er verkürzt seine Lieferzeiten. Und er vermeidet tückische Handels- oder Zollrisiken, wie sie z.B. ab 2021 bei einem „harten Brexit“ drohen, also dem ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der EU.

Welche Risiken könnten das sein?

Leider mehr als viele von uns heute denken. Wenn sich Briten und EU nicht bis Jahresende auf ein neues Handelsabkommen einigen, wird auch Deutschland das Ex-Mitglied Großbritannien ab dem 1.Januar 2021 wie ein fremdes Land behandeln. Das betrifft vor allem kleine und mittlere britische Firmen: Sie brauchen für viele ihrer Produkte neue europäische Genehmigungen, sie müssen an der Grenze Zölle bezahlen, mit ungewohnten Umsatzsteuern kalkulieren, sich völlig neue Lieferketten zusammenbauen, deutlich längere Lieferzeiten einplanen. Und das allerschlimmste: Ihre bisher so guten Beziehungen zu den treuen deutschen Kunden könnten binnen eines Augenblicks zerbröseln. Fast alle dieser Geschäftshemmnisse lassen sich durch eine deutsche Tochterfirma vermeiden.

Was bringt Trusted Shops den Käufern?

Sie bekommen durch das Güte-Siegel mehr Sicherheit und fassen eher Vertrauen zu einem Online-Shop. Denn sie erkennen auf einen Blick, dass der Händler seriös überprüft wurde und einen gewissen Standard bietet. Sehr wichtig sind ihnen auch die Bewertungen: 69 Prozent aller Kunden lesen sie, bevor sie etwas kaufen. Und viele von ihnen bewerten den Shop anschließend auch selbst.

Warum ist der deutsche Markt für andere europäische Anbieter überhaupt interessant?

Deutschland ist nun einmal der größte und kaufkraftstärkste Markt Europas. Über 82 Millionen potenzielle Konsumenten und 95 Prozent von ihnen nutzen das Internet. Vom Kleinkind bis zum Rentner. Allerdings sollte jeder E-Commerce-Anbieter auch die Vorlieben der deutschen Kunden kennen: Sie erwarten schnelle und bequeme Lieferung – am besten binnen 24 Stunden. Sie gehen beim Bezahlen nur ungern Risiken ein – also eher keine Vorauskasse sondern lieber Bezahlung per Rechnung. Und sie schicken gern zurück, was ihnen nicht gefällt – die Retourenquote ist weit höher als im europäischen Durchschnitt.

Das klingt ziemlich heftig. Hat es überhaupt schon mal ein ausländischer Shop geschafft, hier dauerhaft Fuß zu fassen? Kennen Sie Erfolgsbeispiele?

Aber ja doch. Ein Paradebeispiel ist der große britische Online-Mode-Shop ASOS. Dieses Unternehmen bindet nicht nur dank seiner starken Marke auch Kunden in Deutschland an sich. Sondern auch durch seinen nachahmenswerten Service. So hat ASOS hierzulande bereits seit 2011 eigene Lager und einen eigenen Logistikstandort. Der Shop kann also sehr schnell liefern, was die vielen jungen deutschen Kunden auch erwarten. Außerdem bietet ASOS clevere Service-Lösungen wie Click & Collect an. Ein weiterer Pluspunkt: ASOS überzeugt die Konsumenten hierzulande durch seine Eigenmarkten, die sie sonst fast nirgendwo bekommen.

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Gut. ASOS ist aber auch eine große Hausnummern. Gibt’s kleinere Erfolgsgeschichten?

Ja sicher. Mir fällt hier spontan „Mr Porter“ ein, das Luxus-Mode-Label für Männer. Dieser Spezial-Anbieter verkauft mehr als 450 internationale Marken, darunter auch Designermode, aktualisiert sein Programm dreimal pro Woche, bietet einen Express-Service für 170 Länder sowie einen kostenlosen Rückgabe- und Umtauschservice. Das hat viele deutsche Konsumenten zu Stammkunden gemacht – auch wenn Mr Porter derzeit noch keinen inländischen Standort hat. Ich rechne aber damit, dass sich das demnächst ändert…

Das ist doch ein Gegenbeispiel für das weit verbreitete Vorurteil: „Die Deutschen wollen´s immer billig!“

Ganz genau. So einfach funktioniert der hiesige Markt nämlich nicht. Preisaggressivität ist bei weitem nicht das einzige Erfolgskriterium. Auch wenn tatsächlich zwei Drittel der Deutschen, die bei ausländischen Anbietern kaufen, das laut einer Umfrage auch deshalb tun, weil diese Shops günstiger sind als der deutsche Online-Handel. Gleichzeitig legen aber fast alle deutschen Online-Shopper noch größeren Wert auf Zuverlässigkeit, Liefertreue und kundenfreundliche After-Sales-Services.

Wie groß ist heute noch die Sprachbarriere? Wie behindert sie den Marktstart eines ausländischen Anbieters in Deutschland?

Das sollte heutzutage kein Problem mehr sein. Zum einen ist Englisch die klare Weltsprache Nummer eins – zur Freude aller britischen und skandinavischen E-Commerce-Anbieter. Zum anderen verstehen die meisten deutschen Online-Kunden recht gut Englisch – vor allem die jüngere Generation. Außerdem existiert in Deutschland ein ebenso großer wie günstiger Markt für Übersetzer. Es ist kein allzu großer finanzieller Aufwand, die eigene Homepage auch in einer sprachlich ansprechenden deutschen Version anzubieten. Ein gewisses sprachliches Niveau sollte aber schon sein. Google-Translator genügt jedenfalls nicht – wer das versucht, geht bei deutschen Kunden baden…

Muss ein ausländischer Online-Shop eigentlich völlig eigenständig in Deutschland starten? Oder könnte er auch mit einem reichweitenstarken Marktplatz kooperieren?

Beides ist möglich. Eine sehr finanzstarke ausländische Erfolgsmarke kann es hierzulande auch allein schaffen. Für die meisten Markteinsteiger ist es aber sehr sinnvoll, bei einem erfolgreichen Markt-Riesen anzudocken: Amazon, Ebay, Otto und so weiter. Deren Mega-Reichweite erleichtert den Marktstart ungemein und nützt vor allem beiden Seiten. Otto & Co. können ihren Kunden ein originelleres und breiteres Sortiment bieten. Und der Online-Shop spart sich viel Geld für ein eigenes Customer Relationship Management oder ein Performance-Marketing. Wir von Welikeweb beraten unsere Kunden gern, welches Vorgehen ihnen beim Marktstart in Deutschland den schnellsten Erfolg verspricht.

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